Leben auf nur 18 Quadratmetern Wohnfläche? Das ist für die meisten von uns unvorstellbar. Für Tiny House-Bewohner dagegen ist es das ideale Wohnkonzept. Wir haben einen von ihnen in seinem kleinen, aber feinen Heim besucht.
4 Zimmer, Küche, Bad – das ist eine typische Mietwohnung in Deutschland und beschreibt die Kriterien, nach denen wohl die meisten von uns suchen. Bei dem einen oder anderen ist es ein Zimmer mehr oder weniger, vielleicht noch ein Balkon, gerne auch ein bisschen Garten. Für Michele Paldino sahen die Suchkriterien für eine neue Bleibe etwas anders aus: Klein sollte es sein und am liebsten abgelegen auf dem Feld eines Bauerns, neben einer Scheune. Ganz so ist es am Ende nicht gekommen, aber sein Tiny House hat er bekommen. Bei unserem Besuch verrät er uns: „Es gab bisher keinen Tag, an dem ich meine Entscheidung bereut habe.“ Aber fangen wir am Anfang an.
Bis Anfang 2020 lebte Michele Paldino noch in einem kleinen Dorf in einer normalen Wohnung: 2 Zimmer, Küche, Bad, sanierter Altbau, 75 Quadratmeter. Ist doch schön, denken Sie sich jetzt vielleicht. Doch schon damals konnte Michele Paldino nicht nachvollziehen, warum er so viel Geld für die Miete ausgeben musste. Er beschäftigte sich immer mehr mit dem Thema Minimalismus: „Viele Minimalisten behaupten: Je weniger man besitzt, desto einfacher wird das Leben. Daran habe ich geglaubt und festgehalten. Deswegen habe ich mich immer intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt. Und heute kann ich sagen, dass das auch wirklich so ist.“ Zunächst beschäftigte er sich damit, wie man alte Schiffscontainer in neuen Wohnraum umbaut. Schließlich stieß er auf Tiny Houses – und war von der ersten Sekunde an begeistert. Der Entschluss, sich zu verkleinern, fiel schnell, doch die Frage nach dem Wie ließ sich nicht sofort beantworten. „Ich war schon immer ein großer Fan von Zirkuswägen aus den 1950er oder -60er Jahren. Meine erste Idee war es, einen zum Tiny House umzubauen, aber die sind leider zu groß und schwer“, verrät er. Denn auch ein Tiny House muss in Deutschland bestimmte Kriterien erfüllen, um als solches bezeichnet werden zu dürfen und darin wohnen zu können. Beispielsweise sind nicht mehr als 3,5 Tonnen Gewicht und 4 Meter Höhe zugelassen. Ein alter Zirkuswagen überschreitet diese Maße, aber davon ließ sich Michele Paldino nicht aufhalten: „Ich habe mir einen Wagenbauer gesucht und ihn damit beauftragt, einen Zirkuswagen nachzubauen – eben in den Maßen eines Tiny House. Dabei war mir besonders das Tonnendach wichtig.“ Die Wände schleifen und streichen, den Fußboden kleben und die weiteren Arbeiten für den Innenausbau erledigte er auf eigene Faust, alles nach Feierabend. Lediglich für die Elektrik beauftragte er einen Fachmann im Ruhestand, der seine Hilfe über Ebay anbot. Trotz einiger schlafloser Nächte, in denen ihn die gleichen Fragen wachhielten, die auch Häuslebauern bekannt sind – Welche Dusche ist die Richtige? Wie soll die Küche aussehen? Welches Heizsystem soll es werden? –, war das neue Heim schnell fertig.
Wesentlich schwieriger gestaltete sich die Suche nach einem geeigneten Stellplatz. Michele Paldinos Traum war es, neben einer Scheune zu wohnen, fernab von allem Trubel und ganz in Ruhe. Aber ein solches Plätzchen ließ sich nicht finden. Die meisten Bauern verpachteten nur Grundstücke mit mehreren hundert Quadratmetern und genau das wollte Michele Paldino eben nicht. Nach vielen Stunden der Internet-Recherche stieß er auf den Tiny House Verband und den Verein Tiny Houses für Karlsruhe e.V.. Und hier fand sich bald ein Stellplatz in einer der Siedlungen, die von dem Verein organisiert wurden. Seine neue Adresse sollte ein Campingplatz im Albtal werden. In dessen Randbereich hatte sich seit 2019 nach und nach eine kleine Tiny-House-Siedlung gebildet, die stetig weiterwächst. Michele Paldino gehört mittlerweile zu den „Dauergästen“– natürlich mit festem Wohnsitz in der Anlage. Eingezogen ist er im Februar 2020. Damals hatte er noch direkt am Fluss gelebt, aber das wurde ihm irgendwann zu laut, sodass er beschloss umzuziehen. Der Umzug hat nur sechs Stunden gedauert. Das Umstellen des Tiny Houses sogar nur 20 min: Tiny House rauf auf die Anhängerkupplung eines Nachbarn und vom Flussufer 100 Meter Richtung Siedlungsinnere. Schon konnte er eine andere Aussicht genießen und hatte neue Nachbarn.
„Ich glaube, ich kann von mir behaupten, ein rundum zufriedener Mensch zu sein.“
Bei einem Spaziergang durch die Siedlung erzählt Michele Paldino ein wenig über seine Nachbarn, die anderen Tiny-House-Bewohner. Die meisten sind innerhalb der letzten zwei Jahre mit dem Ziel hierher gezogen, minimalistischer und teilweise auch nachhaltiger zu leben. Während viele von ihnen wie Michele Paldino alleine leben, gibt es auch einige, die als Paar ihr Tiny House bewohnen. Eines davon plant derzeit sogar den Bau eines zweiten Tiny Houses, in dem der Nachwuchs wohnen soll. Uns fällt besonders auf, dass kein Häuschen dem anderen gleicht. Jede der kleinen Bauten ist ein Unikat mit unterschiedlichen Baustilen, Formen, Fassaden und Farben. Ein großer Kontrast zu Neubausiedlungen, in denen man sich für sein Eigenheim an die dortigen Bauvorschriften halten muss. „Natürlich müssen wir uns auch an einige Vorgaben und Regeln halten, was unser Tiny House betrifft, aber das bezieht sich vor allem auf die Maße. In den meisten anderen Dingen sind wir völlig frei. Ein paar von uns haben sich einen kleinen Garten angelegt, mit einer am Haus befestigten Terrasse. Ich dagegen halte es ganz einfach mit meiner Grünfläche vorm Haus und meine Terrasse ist auch nicht befestigt, sodass ich so wie vor einer Weile ganz einfach und schnell den Standort wechseln kann. Wichtig ist nur, dass alles gepflegt aussieht und sicher steht“, verrät Michele Paldino.
Neben all den Freiheiten, die die Bewohner in der Siedlung haben, steht vor allem eine Sache im Vordergrund: die Gemeinschaft. „Auch wenn mein ursprünglicher Plan ein anderer war, bin ich sehr froh, hier zu sein. Hier ticken die Uhren einfach langsamer und es ist sehr entschleunigend. Genau das ist es, was ich wollte. Zusätzlich habe ich jetzt noch eine tolle Gemeinschaft mit Gleichgesinnten. Wenn jemand von uns etwas braucht oder Hilfe benötigt, fragen wir einfach in unserer WhatsApp-Gruppe und schon bekommt man von einem seiner Nachbarn beispielsweise einen Bohrer geliehen.“ Durch die überschaubare Größe der Siedlung und die wenigen Bewohner kennt jeder jeden und man findet schnell Anschluss. Das bedeutet jedoch nicht, dass man dem anderen ständig auf die Pelle rückt. Im Gegenteil: Wer seine Ruhe will, der wird auch nicht gestört. Getreu dem Motto: Alles kann, nichts muss.
Tiny Houses zum Anfassen gibt es auf dem Tiny House Festival vom 1. bis 3. Juli 2022. Weitere Infos und Tickets finden Sie es unter: www.new-housing.de
Was braucht es, um in einem Tiny House zu leben?
„Jeder kann in einem Tiny House leben, aber es braucht schon eine gewisse Kompromissbereitschaft und vielleicht auch ein wenig Robustheit und Eigenständigkeit. Oft muss man sich selbst weiterhelfen, aber das sind in der Regel Kleinigkeiten. Jemand, der am liebsten machen lässt, ist im Tiny House wohl eher falsch.“
Einmal im Tiny House gewohnt, gibt es keinen Weg zurück?
„Das würde ich absolut nicht sagen. Ich weiß selbst nicht, ob es mich in fünf oder zehn Jahren nicht doch wieder in eine normale Wohnung verschlägt. Aber das macht ja nichts, dann verkaufe ich das Tiny House einfach.“
Kann man auch Probewohnen?
„Ja, das geht tatsächlich und das habe ich selbst auch gemacht. Es gibt einige AirBnB-Anbieter, die Tiny Houses vermieten. Einfach mal für ein Wochenende dort einnisten und gucken, wie man zurechtkommt.“
Was ist das Wichtigste, wenn man sich für das Leben im Tiny House entschieden hat?
„Man sollte viel Geduld mitbringen und die Hoffnung nicht aufgeben. Die Suche nach einem geeigneten Stellplatz kann ganz schön anstrengend und langatmig sein, aber das Warten lohnt sich. Außerdem finden sich immer mehr Menschen zu Siedlungen wie hier zusammen, sodass das Angebot stetig größer wird.“
Muss ich im Tiny House auf vieles verzichten?
„Eigentlich muss man auf gar nichts verzichten. Man muss nur herausfinden, welche Dinge wichtig und notwendig sind. Ich bin leidenschaftlicher Musiker und meine Instrumente durften auf keinen Fall fehlen. Auch die haben hier ihren Platz gefunden und ich kann trotz wenig Wohnfläche meinem Hobby nachgehen, ohne ständig umräumen zu müssen.“
Wo kann ich mich über Tiny Houses informieren?
„Eine super Anlaufstelle sind Vereine wie unserer. Der Tiny Houses für Karlsruhe e. V. hat mittlerweile ca. 200 Mitglieder. Da kann man sich jede Menge Erfahrungsberichte und Tipps einholen. Beispielsweise bieten wir auch Führungen durch unsere Tiny-House-Siedlung über den Verein an, denn das hier ist alles Privatgrundstück. Einfach vorbeikommen geht also nicht, aber durch die Führungen bekommt man einen wunderbaren Einblick und kann den Bewohnern direkt Fragen stellen.“
Wir haben noch ein paar weitere Links für Sie herausgesucht, über die Sie sich informieren können. Schauen Sie doch mal hier vorbei:
Bildnachweis: Shutterstock: St. John Imagery, Michele Paldino