Von Kindern lernen

Zeig mir deine Welt

Ausgelassen, unbeschwert, offen für Neues – was wir als Kinder einfach sind, fällt uns als Erwachsene oft schwer. Warum eigentlich? Und wie können wir mehr Freude, Leichtigkeit und Neugierde zurück in unser Leben bringen und sie auch unseren Kindern bestmöglich erhalten? Dieses Dossier ist ein Plädoyer für das Kindsein – und eine Erinnerung daran, was wirklich zählt.

Achtsamkeit, Entschleunigung, Innehalten – sind das nur Modeerscheinungen für sinnsuchende Erwachsene? Nein, viel mehr als das. Mit all unseren Versuchen, zum Beispiel beruhigende Atemübungen in den Tagesablauf zu integrieren oder beispielsweise achtsam spazieren zu gehen, holen wir uns ein Stück Kindheit zurück. Denn gelebte Achtsamkeit ist Alltag für Kinder: Während wir Erwachsenen mit den Gedanken im Vorgestern oder Übermorgen hängen, ist für Kinder allein das Hier und Jetzt entscheidend. Sie richten ihre Aufmerksamkeit auf das, was sie tun und was in ihrer Umgebung passiert. Hinzu kommt: Was sie entdecken, wollen sie erforschen. Durch Anschauen, Anfassen und Beobachten lernen sie Stück für Stück die Welt kennen, in der sie leben – und welche Rolle sie darin spielen. Kinder kommen mit dem Gefühl auf die Welt, dass sie genau richtig sind, wie sie sind. Sie sind von Grund auf neugierig, unvoreingenommen, vorurteilsfrei und voller Bewegungsdrang. Sie leben ihre Gefühle aus, wie sie kommen. Was Kinder tun, tun sie in erster Linie für sich – und nicht gegen andere. Ihr Verhalten hat in den meisten Fällen nichts mit Frechsein oder Tyrannei zu tun, sondern ist Selbstliebe in Reinform. Erst durch Erfahrungen und Beobachtungen lernen die Jüngsten, dass bestimmte Verhaltensweisen oder Emotionen erwünscht oder unerwünscht sind. Eins ist sicher: Kinder sind Meister der Anpassungsfähigkeit. Sie machen das Beste aus dem, was ihnen das Leben zur Verfügung stellt. Kinder planen nicht fünf Dinge gleichzeitig, so wie wir Erwachsenen es tun, sie sorgen sich nicht um die Zukunft und verschwenden keinen Gedanken daran, was andere von ihnen denken. Sollten wir uns das nicht abschauen? Wie das gelingen kann, verraten wir Ihnen auf den folgenden Seiten. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Lesen – vielleicht entdecken Sie ja etwas ganz Neues für sich.

Kinder spielen verkleiden

Warum Kreativität wichtig fürs Gehirn ist

Hirnforscher Gerald Hüther plädiert in seinen Büchern und Interviews immer wieder dafür, Kindern mehr freies Spiel zu ermöglichen – ohne Anleitung und Vorgaben von Erwachsenen. Denn Spielen ohne Absicht oder Ziel ermöglicht die besten Vernetzungen im Gehirn: Je tiefer das Kind in seine Tätigkeit und seine Beobachtungen versinkt, desto mehr gerät es in einen glücklichen Erregungszustand, den sogenannten Flow. Dabei vergisst es die Welt um sich herum und fühlt sich einfach rundum wohl. Auch wir Erwachsenen können uns in den Flow-Zustand versetzen – das fühlt sich nicht nur gut an, sondern dabei fallen uns auch unangenehme Arbeiten leicht und die Zeit geht ratzfatz um.

Schluss mit dem Mental Load! Tipps gegen die Überlastung:

Das hilft, um in den Flow zu kommen:

- sich für einen festen Zeitraum auf die Tätigkeit einlassen (etwa 45 Minuten, dann zehn Minuten Pause) - Ablenkung reduzieren: Smartphone und Mailprogramm für diese Zeit ausschalten - Musik (am besten rhythmisch und ohne Gesang) kann helfen, die Umgebung auszublenden - nicht hungrig und durstig an das Vorhaben rangehen, sondern mit Snacks und Wasser in Griffweite Sind alle Punkte erfüllt? Dann haben sie die besten Voraussetzungen für Spitzenleistungen, Glück und Arbeitszufriedenheit geschaffen! Los geht's!

Tempo raus! Tipps zur Entschleuinigung

Morgendliches Familienchaos, Hektik im Büro, Freizeitstress – der Tagesplan ist oft prall gefüllt. Das stresst nicht nur uns selbst, sondern kann auch auf alle Familienmitglieder abfärben. Was kann uns also helfen, wie unsere Kinder auch mal im Moment zu leben und den Trubel im Alltag zu reduzieren?

Gut auswählen! Setzen Sie Prioritäten, tragen Sie wichtige Termine für alle ersichtlich in einen Kalender ein und bereiten Sie Dinge, so gut es geht, vor, zum Beispiel Meal-Prep am Abend. Ein Wochenplan kann sowohl für die Essenvorbereitung als auch für die Termine und Freizeitaktivitäten hilfreich sein. Und halten Sie den einen oder anderen Nachmittag in der Woche für sich selbst sowie für Familienzeit frei.

Den inneren Kritiker abschalten! Statt uns immer wieder selbst dafür zu kritisieren, uns zu sehr zu stressen und nichts genießen zu können, sollten wir uns die schönen Momente bewusst machen, die wir erleben. Wir sollten uns Fehler verzeihen, statt sie uns ständig vorzuhalten. Uns trösten, statt uns zu tadeln. Erkennen Sie sich selbst und das, was Sie tun, an. Sagen Sie sich: „Du bist gut genug. Du gibst das Beste, was dir gerade möglich ist!“

Draußen sein! Verbringen Sie freie Zeit, sooft es möglich ist, in der Natur, zum Beispiel am Wochenende. Es muss ja nicht immer der ausgedehnte Waldspaziergang sein; auch eine kurze Runde im nahegelegenen Park oder „um den Block“ ist in Ordnung. Schon 20 Minuten an der frischen Luft pro Tag können das Level an Stresshormonen nachweislich deutlich senken.

Achtsamkeit lernen! „Vom Erledigungsmodus in den Wahrnehmungsmodus wechseln“, empfiehlt Nicola Schmidt in einem Interview; sie ist eine der beiden Autorinnen des Buches „Slow Family“ und versucht nach dem Motto „slow down faster“ zu leben. Achtsamkeit sollte kein zusätzlicher Punkt auf der To-do-Liste sein, empfiehlt sie. Aber wie geht das oder wie fangen wir damit an?

Es kann schon helfen, jeden Tag zehn Minuten in den Alltag einzubauen. Zehn Minuten für sich selbst zu nutzen: Sport, Yoga, lesen, spazieren gehen, ein Telefonat mit der Freundin – was auch immer uns selbst guttut. Dieses Zeitfenster genauso in den Terminkalender eintragen wie auch den Arzttermin oder das Hobby des Kindes. Übrigens hilft es in besonders hektischen Zeiten, immer wieder zwischendurch ein paar Mal bewusst zu atmen und zum Beispiel den Raum um sich herum wahrzunehmen.

Statement

Nele Hartmann

Neele Hartmann

Pädagogische Leitung und Sozialpädagogin im Waldkindergarten Kranichnest in Darmstadt

„Was lernen Sie persönlich aus Ihrer täglichen Arbeit mit Kindern?“

„Kinder machen sich keine Gedanken darüber, ob sie eine Frage stellen oder nicht. Sie reden und fragen, wie es Ihnen gerade in den Sinn kommt, um die Welt besser zu verstehen. Sie haben keine Angst vor Blamagen oder schiefen Blicken. Sie sind einfach selbstbewusst und authentisch. Wo wir Erwachsenen aus Scham vor Unwissenheit lieber so tun, als wüssten wir, wovon hier gerade die Rede ist, um uns keine Blöße zu geben, würde das Kind mit seiner absolut offenen Art einfach seine Unwissenheit preisgeben – und eine Antwort erhalten. Damit lernt das Kind und wird zukünftig wissen, worum es geht – wir nicht, wenn wir die Frage nicht stellen. Daher versuche ich mich, sooft es geht, daran zu erinnern, mich nicht von falscher Scham beeinflussen zu lassen, sondern offene Fragen zu stellen, um Antworten zu bekommen und somit weiter zu wachsen. Auch im Neugierigsein sind uns Kinder weit voraus. Sie entdecken immer. Jeden Tag, überall, zu jeder Uhrzeit und lassen sich durch nichts davon abhalten. Und haben sie etwas entdeckt, dann teilen sie ihre Beobachtung mit. Für uns kann das erst mal lustig klingen, wie: „Der Goldfisch ist so gelb und hat rote Federn.“ Sie wollen lernen, sie wollen Wissen erlangen und ihr Blick bleibt immer offen für alles. Sei es der Käfer im Wald, das Blatt am Wegesrand oder das Flugzeug am Himmel: Sie möchten alles entdecken, nehmen ihre Umwelt ganz genau wahr und schaffen es dabei auch noch, im Moment zu leben. Diese Eigenschaft ist von so enormer Bedeutung in der heutigen Zeit, dass ich immer wieder ein Stück neugierig und gegenwärtig sein möchte, wie all unsere Kinder im Kranichnest in Darmstadt.“

15 Dinge, die wir von Kindern lernen können

1. Sich auf die Gegenwart konzentrieren, statt an die Zukunft zu denken.

2. Geliebten Menschen ohne besonderen Anlass sagen, dass man sie lieb hat.

3. In Pfützen springen, statt über den Regen zu meckern.

4. Mehr lachen: Kinder lachen etwa 400-mal am Tag, Erwachsene nur rund 15-mal.

5. Unvoreingenommen auf andere zugehen.

6. Wenn man etwas nicht weiß, Fragen stellen oder um Hilfe bitten.

7. Kreativ sein: malen, basteln oder bauen ohne festes Endergebnis im Kopf.

8. Sich im Spiegel anlächeln, Grimassen schneiden und den Bauch rausstrecken, statt nach Makeln zu suchen und die Kleidung zurechtzuzupfen.

9. Sich etwas gönnen, statt alles Schöne auf später zu verschieben.

10. Veränderte Umstände annehmen, wie sie sind, und versuchen, das Beste aus schwierigen Situationen zu machen.

11. Gefühle zulassen – egal ob Traurigkeit, Freude oder Wut. Versuchen Sie herauszufinden, was dahintersteckt.

12. Das Unmögliche für möglich halten: Wenn wir fest an etwas glauben, können wir es wahr machen.

13. Spiel ohne Ziel: Manchmal sind Beschäftigungen ohne Sinn und Zweck gut für einen freien Kopf.

14. Sich selbst statt anderen gefallen wollen – also das tun, was man selbst für richtig hält.

15. An Kleinigkeiten erfreuen, statt auf große Highlights zu warten.

Bildnachweis: Shutterstock, unsplash

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