Yoga für jedermann

Warum es sich für Männer lohnt, Yoga auszuprobieren

Yoga ist sicherlich für jeden möglich und sinnvoll – doch gerade unter Männern ist die indische Lehre mit so manchem Vorurteil belastet. Unser Redakteur hat herausgefunden, warum es sich lohnt, sich nicht von bunten Leggins abschrecken zu lassen.

Um ehrlich zu sein, hatte ich mit Yoga viele Jahre keinerlei Berührungspunkte. Wenn ich schon Sport mache – so dachte ich –, dann gefälligst richtig schweißtreibend. Ausdauer und Kraft sollten bitte schön wenigstens dabei rausspringen, wenn ich mich anstrengte. Also hallo, Fitnessstudio: Laufband, Crosstrainer, Geräte. Die Flexibilität kam dabei leider oft zu kurz. Hatte ich einmal Schmerzen, griff ich lieber auf kurzfristige Mittel wie Medikamente oder Massagen zurück – meist jedoch erst, wenn es schon zu spät war und ein Muskel, Band oder Nerv behandelt werden musste. Das wiederum verlangte Schonung, was mich im Trainingserfolg wieder zurückwarf. Für vorbeugende Maßnahmen nahm ich mir keine Zeit, verbrachte dafür dann im Anschluss Stunden bei der Physiotherapie.

Illustration Mann beim Yoga

(Kein) Bock auf den Block

Rückblickend alles nicht ganz so gut durchdacht und vor allem eins: sehr, sehr unnötig. Auf der Suche nach weiteren Möglichkeiten stieß ich natürlich schnell auf Yoga. Die Bilder, die sich mir dabei vorwiegend zeigten, waren jedoch einerseits definierte Frauen in neongrellen Hosen oder – ganz im Kontrast dazu – alte indische Männer mit langen Bärten und Turbanen auf dem Kopf. Beides nicht unbedingt das Umfeld, in dem ich mich gewöhnlich aufhalte. Prinzipiell bin ich offen für fast alles und probiere meist erst einmal aus, bevor ich mir eine Meinung bilde, doch als Yoganeuling war ich zurückhaltend: Lieber zunächst allein zu Hause mit einem YouTube-Video hinter zugezogenen Vorhängen testen. Was wird da von mir verlangt? Wie sehe ich wohl aus, wenn ich mich so seltsam verrenke? Was, wenn ich eine Übung nicht hinbekomme? Brauche ich eine spezielle Matte? Was sind das für Blöcke, die alle in ihren Tutorials benutzen, und was ziehe ich überhaupt an beim Yoga, damit ich nicht zu sehr schwitze, nicht friere, aber trotzdem auch beweglich bleibe? Im Nachhinein alles Fragen, die sich ziemlich schnell klären lassen – also keine wirklichen Ausreden. Ich fing schließlich an und bemerkte auch schon die ersten Fortschritte. Doch wie so oft, ließ auch hier schnell die Motivation wieder nach. Nach einem anstrengenden Arbeitstag noch mal die Matte ausrollen? Kann ich doch auch morgen noch machen.

Gleichgesinnte gesucht

Mir wurde immer klarer, dass ich zum Yoga einen Ort brauche, an den ich gehen und wo ich alles andere für eine kurze Zeit zurücklassen kann. Außerdem stellte ich mir vor, dass es einen Grund gibt, warum Yoga oft in Gruppen praktiziert wird, und es sicher Spaß in Gesellschaft macht. Also suchte ich nach Studios in meiner Nähe und fand ein überraschend großes Angebot. Es wurde eine Vielzahl an unterschiedlichen Stilen angeboten, meist lachten mich jedoch weiterhin Frauen von allen Homepages an, die ich aufrief. Waren Männer überhaupt zugelassen? Im Fitnessstudio gab es ja auch spezielle Lady-Bereiche. Nur richtig und verständlich, aber wo kann ich denn nun teilnehmen? Dann fand ich endlich, wonach ich gesucht hatte: Männeryoga für Anfänger. Es handelte sich sogar erst einmal nur um einen einzigen Nachmittag, ohne Verpflichtung, Laufzeit oder Ähnliches. Einfach reinschnuppern und ausprobieren. Was hatte ich also zu verlieren? Schlimmstenfalls würde es bei einer einmaligen Aktion bleiben und ich würde die Menschen vermutlich nie wiedersehen – kein Risiko also, wenn ich mich blamieren sollte. Aber auch diese Bedenken waren unbegründet, denn die wichtigste Grundlage des Yogas wurde direkt zu Beginn klargemacht: Hier haben Wettbewerb und Vergleich nichts zu suchen. Gerade unter Männern leider immer wieder ein großes Problem. Kann ich länger aushalten als mein Nebenmann? Schaffe ich mehr Wiederholungen? Kann ich mich weiter dehnen als er? Spielt alles keine Rolle! Es geht nämlich nur ums Hier und Jetzt und das eigene Befinden. Vielleicht schaffe ich heute weniger als letzte Woche, na und? Für jede Übung, die angeleitet wird, gibt es schwerere oder leichtere Varianten – je nach Verfassung und Beweglichkeit.

Illustration Mann beim Meditieren

Eine besondere Geräuschkulisse

Dementsprechend höre ich im Kurs allerhand Geräusche um mich herum. Es wird gestöhnt und geschnauft, hier und da ein Knacken von Knie, Schulter oder Rücken. Doch all das ist vollkommen normal und niemand quält sich, um mitzuhalten – mögliche Gebrechen wurden vor Beginn abgeklärt und so wird zwischendurch auch immer wieder gelacht und alle haben sichtlich Spaß am Yoga. Auch ich merke schnell, wie gut mir bestimmte Übungen tun, wie sich Verspannungen lösen und ich auf mentaler Ebene abschalten kann. Am Ende der Stunde fühle ich mich sehr wohl, gelockert und frei – sowohl körperlich als auch geistig. Seither bin ich drangeblieben und praktiziere regelmäßig Yoga. Meist in der Kursreihe im Studio, hin und wieder aber auch zu Hause. Mal gefällt mir die Gesellschaft besser, manchmal brauche ich eher die Ruhe im Alleinsein. Genau diese Mischung tut mir gut, doch das muss jeder für sich selbst entscheiden. Was jedoch feststeht: Mein Weg zum für mich richtigen Yoga hat zwar eine Weile gebraucht, doch ich möchte es nicht mehr missen. Also, Männer, traut euch und wagt den Schritt auf die Matte!

Interview

Boris Lempka

Boris Lempka

Boris Lempka ist ausgebildeter Yogalehrer und bietet mit BROGA spezielle Kurse für Männer an.

Mehr über Boris Lempka und sein BROGA erfahren Sie unter www.yogi-bo.de und bei Instagram unter @its.yogi.bo

Wie bist du zum Yoga gekomen? Und warum ist es so wichtig in deinem Leben?

Im Jahr 2014 war ich sehr aktiv im Streetdance und habe nach einem weiteren Hobby gesucht, um meine Kondition und Flexibilität zu verbessern. Damals habe ich meine erste Yogastunde besucht und war direkt verliebt.

Ich spüre seitdem sehr viel schneller, wenn mich eine Situation stresst oder ich angespannt bin, und kann dem ganz bewusst entgegenwirken. In allem, was ich tue, bin ich viel fokussierter, da ich mehr im Hier und Jetzt bin. Yoga hat eine sehr ausgleichende Wirkung, es kann aktivierend sein oder eben beruhigend. Auch kurze Yogaeinheiten haben schon einen positiven Effekt auf das Wohlbefinden.

Was macht deinen Yogastil aus?

Ich stelle mir für meine Yogastunden die passenden Übungen aus verschiedenen Yogastilen zusammen und kombiniere so ruhigere, kraftvolle und auch mal fließende Übungen miteinander. Ich spiele gerne mit verschiedenen Elementen und Hilfsmitteln, um immer wieder neue Yogaerlebnisse zu schaffen. Es ist ein bisschen wie Kochen: das Spiel mit verschiedenen Zutaten und Gewürzen. Wenn es also mal feurig im Yoga wird, kommt sicherlich der zart schmelzende Abschluss.

Wieso wagen sich deiner Meinung nach so wenige Jungs auf die Yogamatte? Gibt es einen Wandel?

Im Yoga herrschen noch viele Vorurteile, welche Yoga als Freizeitspaß für hippe Großstadtfrauen erscheinen lassen. Dabei war die Yogapraxis in Indien lange Zeit sogar ausschließlich Männern vorbehalten. In vielen Köpfen herrscht außerdem ein Bild von Yoga, welches einen extrem flexiblen Körper als Grundvoraussetzung vermittelt. Dabei kann jedermann Yoga praktizieren, da es für jeden die passende Übung oder Variation gibt. Es geht darum, zu entdecken, was guttut und was Spaß macht. Wer atmen kann, kann theoretisch auch Yoga. Beim Yoga gibt es kein Minimum und kein Maximum. Fühle in deinen Körper und er sagt dir, was du gerade brauchst. Aktuell ist Männeryoga eher noch eine Nische. Aber das Umdenken in der Gesellschaft ist – wie in vielen andere Bereichen auch – spürbar.

Wie unterscheidet sich BROGA von anderem Yoga?

Der Hauptunterschied ist die Atmosphäre. Die Befürchtung, der einzige Mann im Kurs zu sein oder sich zu blamieren, ist somit deutlich reduziert beziehungsweise ganz verpufft. Man ist sozusagen unter sich und der Umgang miteinander ist einfach etwas lockerer. Außerdem haben Männer andere Vorlieben bei ihren Sportarten und bringen dadurch anatomisch andere Voraussetzungen mit in den Yogakurs. Auf solche Bedürfnisse gehe ich in den BROGAKursen besonders ein. Aber auch wer keinen intensiven Sport betreibt, kann die Vorzüge von Yoga genießen. Generell sitzen wir im Alltag viel zu viel. Nicht nur in der Freizeit, sondern vor allem im Beruf. Außerdem hat nicht jeder einen ergonomischen Arbeitsplatz oder begegnet einseitigen Bewegungsabläufen.

Nicht zuletzt wirkt sich Yoga auf mentaler Ebene positiv auf uns Männer aus. In der Gesellschaft wird der Mann als das sogenannte starke Geschlecht gesehen, viele Männer haben noch immer oft das Gefühl, durchhalten zu müssen und keine Schwäche zeigen zu dürfen. Das erzeugt natürlich Druck und Anspannung, die sich dann auch in körperlichen Leiden widerspiegelt. Yoga kann hier helfen, Stress abzubauen und mehr Verständnis und Selbstwahrnehmung zu finden.

Gibt es eine bestimmte Übung, die du empfiehlst und jeder überall gut machen kann?

Eine Yogaübung, die jeder immer und überall gut machen kann, ist eine tiefe Bauchatmung. Diese beruhigt unseren Organismus und lässt sich prima in den Alltag integrieren. Zum Beispiel bevor man das Telefon abhebt, ein paar Mal tief und ganz bewusst in den Bauch ein- und ausatmen. Gerne auch so tief, dass sich der Bauch wölbt und rundet. Das ist großartig, um Stress abzubauen und den Körper mit Sauerstoff zu versorgen.

Lust bekommen? Webtipps für Männer

Hier sind einige Anlaufstellen für die ersten Dehnversuche:

Bei Marcel Clementi gibt es Anleitungen für alle Niveaus und Wünsche. Mit Videos wie „Dehnen für Unbewegliche“ oder „Schneidersitz lernen“ gibt es auch für komplette Neulinge keine Ausrede mehr.

www.youtube.com/MarcelClementi

Auf seinem „Echte-Männer-machen-Yoga-Blog“ zeigt Thomas Meinhof, wie die Lehre sein Leben bereichert. Er möchte vor allem Männer für Yoga begeistern, denen das Thema noch vollkommen fremd ist – immer auf Augenhöhe, mit einer ordentlichen Prise Humor und viel Spaß.

www.yogadu.de

Die internationale Yoga-Community für Männer möchte in erster Linie mehr Jungs auf die Matte bringen. Sie steht darüber hinaus für ein vielfältiges Yoga aller Geschlechter und Kulturen und zeigt, dass auch Gewicht oder Alter keine Rolle spielen.

Auf Instagram unter @men.in.yoga

Bildnachweis: Shutterstock: fizkes, Shutterstock: GoodStudio, Boris Lempka

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