DR. MED. LIESELOTTE SIMON-STOLZ
Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin, zertifizierte Kinderschutzmedizinerin (DGKiM)
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Auch bei sehr fürsorglichen und einfühlsamen Eltern ist es völlig normal, dass ein Baby schreit. Doch sehr häufiges und intensives Schreien in den ersten Lebensmonaten kann jede Familie an ihre Belastungsgrenze bringen. Was Kind und Eltern hilft, weiß Kinderärztin Dr. med. Lieselotte Simon-Stolz.
Schreien ist eine wesentliche und lebensnotwendige Lautäußerung des jungen Säuglings, um auf seine Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Das kann – je nach Temperament – von Kind zu Kind sehr unterschiedlich sein.
Das Baby schreit in den ersten Monaten, weil
In der Regel lernen Eltern mit der Zeit, die verschiedenen Schreiarten zu unterscheiden, angemessen darauf zu reagieren und ihr Baby zu beruhigen.
Eine Beruhigung durch die Eltern gelingt trotz intensiver Bemühungen häufig nicht. Unsere Erfahrung als Kinder-und JugendärztInnen zeigt, dass die Eltern (und Oma, Tante, Freundin und auch „Fachleute“) häufig von unangemessenen Ursachenzuschreibungen ausgehen: Blähungen, Bauchweh, Stuhlprobleme, Zahnen usw. oder keine Erklärung haben, warum das Baby so viel quengelt und schreit. Das und die vielen gutgemeinten unterschiedlichen Ratschläge verunsichern die Eltern sehr. Sie berichten immer wieder, dass Behandlungsmaßnahmen, die auf den Magen oder den Darm ausgerichtet sind (Nahrungswechsel, Kräutertee, entblähende Tropfen, Wärme, Massagen, Homöopathika usw.) entweder nur kurzfristige Linderung bringen oder erfolglos sind.
Nur bei ca. 10 % der Schreibabys kann tatsächlich eine greifbare Ursache des Schreiens und Quengelns gefunden werden (Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Säurerückfluss, „kopfgelenkinduzierte Störungen“ usw.).
Babys schreien auch ohne erkennbaren Grund, je nach Temperament auch lang und ausdauernd. Vermehrtes Schreien und Unruhe beginnt typischerweise in der 1. bis 2. Lebenswoche, tritt vor allem in den Abendstunden auf (zwischen 18 und 24 Uhr) und wird nachts deutlich weniger. Am stärksten sind die Beschwerden zwischen der 4. und 6. Lebenswoche und lassen in der Regel schlagartig um den 3. Lebensmonat nach; gelegentlich können sie auch länger bestehen bleiben.
Gleichzeitig berichten die Eltern sehr häufig, dass diese Babys sehr „reizhungrig“ sind. Mit Hilfe eines ständigen Wechsels von Herumtragen, Schaukeln, Hüpfen, lauten Geräuschen (Fön, Staubsauger, Wäscheschleuder) oder stundenlangem Fahren im Auto sind sie eine Zeit lang zu beruhigen. Dieses verleitet die Eltern oft zu den ausgefallensten Beruhigungsstrategien; allerdings führt das oft zu einer noch stärkeren Überreizung und mündet schließlich in einem Teufelskreis.
Die Anforderungen an die Eltern beim Beruhigen, Füttern und Schlafenlegen sind dadurch enorm. Verunsicherung, Versagensgefühle und schwere Erschöpfungszustände sind bei den betroffenen Eltern nicht selten. Das Verhältnis zum Kind kann dadurch gestört oder sogar beschädigt werden. Daher ist es wichtig, sich Hilfe zu suchen, wenn das Baby ständig schreit.
Kinderärztlich sollten körperliche Ursachen des Schreiens auf jeden Fall durch eine gründliche Untersuchung ausgeschlossen werden. Zur Untersuchung gehört auch, nach der Situation zu Hause zu fragen – vor allem nach Stress, Belastungen und Entlastungsmöglichkeiten. Eventuell kann dann sogar ein Krankenhausaufenthalt von Mutter/Vater und Kind eine sinnvolle Maßnahme sein, um eine kurzfristige Entlastung zu bringen und in Ruhe und mit Distanz notwendige Untersuchungen durchzuführen, das weitere Vorgehen zu besprechen und evtl. erforderliche Maßnahmen einzuleiten.
Durch Ihr „Handling“, also die Art und Weise, wie Sie Ihr Kind halten, tragen oder hinlegen, können Sie ihm helfen, besser mit seiner körperlichen „Unreife“ zurechtzukommen:
Sprechen Sie unbedingt mit Ihrer Kinder- und Jugendärztin, Ihrem Kinder- und Jugendarzt, Ihrer Hebamme. Suchen Sie sich rechtzeitig professionelle Hilfe, wenn Sie das Gefühl haben, Sie verkraften das Schreien nicht mehr.
In vielen Orten gibt es besondere Anlaufstellen, sogenannte Schreiambulanzen und Beratungsstellen für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern, die Ihnen Beratung und Hilfe anbieten können.
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DR. MED. LIESELOTTE SIMON-STOLZ
Dr. med. Lieselotte Simon-Stolz ist Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin, zertifizierte Kinderschutzmedizinerin (DGKiM). Von 1986 bis Ende 2007 war sie als niedergelassene Ärztin in einer kinder- und jugendärztlichen Gemeinschaftspraxis in Neunkirchen tätig, mit mehrjähriger Erfahrung in Eltern-Kleinkind-Säugling-Beratung. Von 2008 bis 2018 arbeitete sie als Koordinatorin für Frühe Hilfen am Kreisgesundheitsamt in Neunkirchen und war ärztliche Mitarbeiterin der Frühförderstelle im LK Neunkirchen. Seit 2018 ist sie im Ruhestand. Weiterhin hat sie Erfahrung in ehrenamtlichen Tätigkeiten im medizinischen Kinderschutz, u. a. als Leiterin des AK Prävention der Deutschen Gesellschaft Kinderschutz in der Medizin (DGKiM).
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